Ein neues Buch erklärt, wie wir Empathie lernen und besser sozial interagieren können. Von Jill Suttie im Namen des Greater Good Science Center.

 

Es ist schwer, andere dabei zu beobachten, wie sie leiden. Wir können ihren Schmerz fühlen oder nehmen ihre Trauer wahr; Möglicherweise befürchten wir, dass wir nicht wissen, was wir tun oder sagen sollen. Diese unangenehmen Momente könnten dazu führen, dass wir uns von ihren in ihrer Not abwenden - um unser eigenes Wohlbefinden nicht zu gefährden oder um ungestört unser Leben fortzusetzen.

Aber das ist der falsche Ansatz, sagt die Psychiaterin und Forscherin Helen Riess, Autorin des neuen Buches The Empathy Effect. Die Fähigkeit, empathisch mit anderen in Kontakt zu treten - mit ihnen zu fühlen, sich um ihr Wohlergehen zu kümmern und mit Mitgefühl zu handeln - ist entscheidend für unser Leben und hilft uns miteinander auszukommen, effektiver zu arbeiten und als Gesellschaft zu gedeihen.

Die meisten Forschungen von Riess zu Empathie konzentrierten sich auf das Gesundheitswesen. Da Ärzte Tag für Tag mit Leid konfrontiert werden, ist ihre Situation passend, um zu beobachten, wie sich Empathie auf das Wohlbefinden auswirkt. Während Ärzte möglicherweise denken, dass das Abschalten ihrer Gefühle und das Schaffen emotionaler Distanz dazu beitragen, dass sie objektiv bleiben und eine bessere Versorgung leisten können, haben Riess Untersuchungen gezeigt, dass Patienten dadurch misstrauisch, verärgert und weniger kooperativ werden. Dies führt wiederum zu einsameren, weniger effektiven und ausgebrannten Ärzten.



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Die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ist elementar für ein gutes Miteinander fizkes/shutterstock

 

Aber was sollen Ärzte - und der Rest von uns - stattdessen tun? Empathie üben, sagt Riess. Empathisch zu sein, verbessert nicht nur die Gesundheitsversorgung, sondern menschliche Interaktionen im Allgemeinen.

"Alle Beteiligten sind gleichermaßen bereichert, wenn wir uns gegenseitig mit Empathie und Mitgefühl wahrnehmen und darauf reagieren", schreibt sie. "Schließlich ist es die menschliche Bindung, die die Musik zu den Zeilen des Lebens spielt."

 

 

Was ist Empathie?

Viele verwechseln Empathie (mit jemandem fühlen) mit Sympathie (für jemanden Gefühle haben). Selbst Forscher, die in diesem Feld arbeiten, haben die Sicht mit vielen verschiedenen Definitionen getrübt. Riess schafft es in ihrem Buch jedoch, die verschiedenen Definitionen zu entwirren und die vielen Dimensionen von Empathie zu erklären.

Empathie, schreibt sie, beinhaltet die Fähigkeit, die Gefühle anderer wahrzunehmen (und unsere eigenen Gefühle zu erkennen), sich vorzustellen, warum sich jemand auf eine bestimmte Weise fühlt, und sich um ihr Wohlergehen zu sorgen. Wenn Empathie einmal ausgelöst wurde, ist mitfühlendes Handeln die logischste Antwort.

 

“Die Fähigkeit, empathisch mit anderen in Kontakt zu treten - mit ihnen zu fühlen, sich um ihr Wohlergehen zu kümmern und mit Mitgefühl zu handeln - ist entscheidend für unser Leben.”


Empathie beruht auf bestimmten Teilen des Gehirns, die sich entwickelt haben, um eine emotionale Verbindung mit anderen und die Motivation zur Fürsorge zu ermöglichen. Wenn wir jemanden sehen, der Schmerzen hat - sagen wir, weil wir gesehen haben, wie er sich versehentlich geschnitten hat - leuchten die Nervenleitungen für Schmerzreize in unserem eigenen Gehirn auf, wenn auch in einem geringerem Maße. Dies ist der emotionale Teil der Empathie (manchmal auch emotionale Resonanz genannt), den viele Ärzte ignorieren oder ablehnen, obwohl dies mit ihrem mitfühlenden Instinkt in Widerspruch steht, sagt Riess.

„[Ihr] ausgeklügeltes neurologisches System ermöglicht es ihnen, Verletzungen anderer zu beobachten und gibt ihnen dabei eine solche Kostprobe der Schmerzen, dass sie in Betracht ziehen, ihnen zu helfen“, schreibt sie.

Wir können uns jedoch nicht allein auf emotionale Resonanz verlassen. Zum einen wird diese bei Menschen, die uns ähnlich sind, tendenziell verstärkt, und das ist problematisch in einer Arztpraxis... wie auch im Leben. Zum Glück hat Empathie eine kognitive Komponente - das Verständnis dafür, dass unsere Gefühle möglicherweise nicht mit denen anderer übereinstimmen. Indem wir die Schmerzen des Gegenübers nicht zu unseren eigenen machen, können wir unser Unbehagen mildern und gleichzeitig neugierig bleiben, was dieser durchmacht.

"Wir müssen die Situation aus der physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Perspektive der anderen Person verstehen", sagt Riess.

Der dritte Aspekt von Empathie ist Sorge - „die innere Motivation, die die Menschen dazu bewegt, zu reagieren und den Drang zum Ausdruck zu bringen, sich um das Wohlergehen einer anderen Person zu kümmern.“ Leider ist diese Sorge von Person zu Person sehr unterschiedlich und wird von verschiedenen Umweltfaktoren beeinflusst. Beispielsweise wie sehr die bedürftige Person dir (und deinem „Stamm“) ähnelt, ob du einer leidenden Person oder einer Vielzahl leidender Menschen begegnest oder ob du glaubst, dass jemand es verdient hat, aufgrund seines schlechten Verhaltens zu leiden. Außerdem spielt der soziale Status eine Rolle. Jje mächtiger eine Person ist, desto unwahrscheinlicher wird es sein, dass ihr Leid auffällt und sie sich darum bemühen wird einzugreifen.

All dies deutet darauf hin, dass Empathie zwar eine eingebaute biologische Reaktion auf Leid ist, wir aber dennoch daran arbeiten müssen, wenn wir sie in schwierigeren Situationen einsetzen möchten.

 

 

Empathie kann gelehrt werden

Es fällt uns vielleicht schwer, uns in manche Leute hineinzuversetzen. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Empathie laut Riess nicht wie einen Muskel stärken können. Sie schlägt vor, erfahrener darin zu werden, die Gefühle anderer besser wahrzunehmen, Techniken der Selbstregulierung zu erlernen, um nicht von übermäßiger emotionaler Resonanz überfordert zu werden, und Wege zu finden, um das Einnehmen von Perspektiven zu fördern.


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Empathie ist eine natürliche menschliche Reaktion auf Leid


Zu diesem Zweck hat sie ein Programm namens EMPATHICS entwickelt, das Ärzten beigebracht wurde und deren Fähigkeit, Emotionen zu lesen, sowie deren Burnout-Level und Patientenzufriedenheit erfolgreich verbesserte. Eine gute Nachricht, da die Beziehung zwischen Arzt und Patient einen signifikanten Beitrag zur Gesundheit der Patienten zu leisten scheint.

 

Riess verwendet das Akronym ‚EMPATHY‘, um die einzelnen Schritte ihres Programms zu skizzieren:

 

E: Eye contact (Augenkontakt)
Ein angemessenes Maß an Augenkontakt gibt dem Gegenüber das Gefühl gesehen zu werden und verbessert die effektive Kommunikation. Riess empfiehlt, sich mindestens so lange auf die Augen einer Person zu konzentrieren, bis die Augenfarbe erkennbar ist. Zudem sollte man sicherstellen, sich bei der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht gegenüberzusitzen.

 

M: Muscles in facial expressions (Muskeln im Gesichtsausdruck)
Als Menschen ahmen wir oft automatisch ohne es zu merken die Ausdrücke anderer nach. Indem wir in der Lage sind, die Gefühle anderer zu identifizieren - oftmals anhand von unterschiedlichen Gesichtsmuskelmustern - und sie zu spiegeln, können wir Empathie zu kommunizieren.

 

P: Posture (Haltung)
In einer zusammengesunkenen Position zu sitzen, kann auf mangelndes Interesse, Niedergeschlagenheit oder Traurigkeit hinweisen. Aufrechtes Sitzen signalisiert Respekt und Selbstvertrauen. Wenn wir verstehen, was verschiedene Haltungen kommunizieren, können wir eine offenere Haltung einnehmen. Nach vorne schauen, Beine und Arme nicht kreuzen, sich dem Gegenüber zuneigen – dies alles fördert eine offenere Kommunikation und mehr Vertrauen.

 

A: Affect or emotions (Affekt oder Emotionen)
Wenn wir lernen, das Gefühl eines anderen zu identifizieren und zu benennen, können wir sein Verhalten oder die Botschaft hinter seinen Worten besser verstehen.

 

T: Tone (Ton)
„Da der Tonfall mehr als 38 Prozent des nonverbalen emotionalen Inhalts der Kommunikation eines Menschen vermittelt, ist er ein entscheidender Schlüssel zu Empathie“, schreibt Riess. Sie schlägt vor, die Lautstärke und den Ton der Person anzupassen, mit der gesprochen wird. Im Allgemeinen sollte ein beruhigender Ton verwendet werden, damit sich der Gegenüber gehört fühlt. Wenn eine Person jedoch empört ist, sollte man sein Tonfall möglichst nicht angleichen. In diesem Fall ist es angemessener, den eigenen Ton zu mildern.

 

H: Hearing (Hören)
Es kommt zu oft vor, dass wir uns gegenseitig nicht zuhören. Das liegt vielleicht daran, dass wir meinen das gesagte schon zu kennen oder auch einfach weil wir zu abgelenkt oder gestresst sind. Empathisches Zuhören bedeutet, sich dem anderen ohne Vorurteile zuzuwenden. Außerdem können Fragen gestellt werden, die den Menschen dabei helfen herauszufinden, was wirklich bei ihnen los ist.

 

Y: Your response (Deine Antwort)
Riess erklärt nicht, was du als nächstes sagen sollst. Es geht vielmehr darum, wie du mit deinem Gesprächspartner in Resonanz kommst. Unabhängig davon, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, tendieren wir dazu, uns emotional mit Menschen zu synchronisieren. Wie erfolgreich wir sind,  spielt eine Rolle dabei, wie sehr wir unseren Gegenüber verstehen und mögen.

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Empathie jenseits des Gesundheitswesens

In ihrem Buch konzentriert sich Riess hauptsächlich auf die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Das Buch ist jedoch auch ein Plädoyer dafür, über das Gesundheitswesen hinaus zu schauen und sich eine Welt vorzustellen, in der Empathie in allen Lebensbereichen eingebracht wird.

Schon kleine Kinder können die Gefühle anderer lesen und haben die Neigung, Menschen in Not helfen zu wollen, betont Riess. Es wäre ein leichtes auf diesen Fertigkeiten aufzubauen. Wir können ihnen dabei als Vorbilder dienen und ihnen helfen, indem wir ihnen die Möglichkeiten geben, ihr Einfühlungsvermögen zu trainieren. Es hängt von den Eltern ab, ihre Kinder für das spätere Leben vorzubereiten. Wie gut Eltern die Gefühle ihrer Kinder verstehen, wie sie versuchen die Perspektive dieser einzunehmen und ihren Wert zu bekräftigen, hängt damit zusammen, wie es den Kindern im späteren Leben ergeht.



empathy.jpgAugenkontakt vermittelt empathisches Mitgefühl

 

"Wenn ein Kind nicht gespiegelt wird, gibt es möglicherweise auf, seine Ziele zu verfolgen. Wenn dieses Kind zu einem Überflieger wird, bereiten ihm seine Leistungen möglicherweise weniger Freude,“ schreibt sie.

Wenn Kinder wachsen, werden natürlich auch andere Beziehungen wichtig. Schullehrer können das Selbstwertgefühl von Kindern steigern, indem sie sie mit Respekt und Wärme behandeln, harte Disziplinarmaßnahmen vermeiden und sie zum Lernen motivieren, sagt Riess. Sie können Empathie auch direkt durch Literatur, Nachahmung und andere Techniken vermitteln.

 

“Es fällt uns vielleicht schwer, uns in manche Leute hineinzuversetzen. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Empathie nicht wie einen Muskel stärken können.”

Riess beschreibt auch andere Fälle, in denen Empathie von entscheidender Bedeutung ist. Zum Beispiel, wenn wir Menschen begegnen, die sich von uns unterscheiden. Oder wenn wir selbst einen Fehler gemacht haben und Selbsteinfühlungsvermögen benötigen. Dies gilt für unsere Arbeitsplätze genauso wie innerhalb der Regierung. Und sie untersucht auch die möglichen Nachteile von Empathie - zum Beispiel, wenn die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln dafür genutzt wird, um in die Köpfe der Menschen einzudringen und sie zu manipulieren, anstatt sie fürsorglich zu behandeln.

Dennoch kann die Bedeutung von Empathie im täglichen Leben nicht überbetont werden. Riess glaubt, dass wir eines der Schlüsselinstrumente für die kulturelle Transformation haben, wenn wir verstehen, wie Empathie funktioniert und wie wir und unsere Kinder davon profitieren können.

Sie schreibt: „Wir hoffen, eine Zivilgesellschaft, einen respektvollen Diskurs, das Verständnis für andere und eine humane Welt mitzugestalten.“  ●

 

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Main image: Pressmaster/shutterstock

 

Geschrieben vom Greater Good Science Center

greater-goods.jpgDieser Artikel wurde im Original im Greater Good Magazin veröffentlicht, dem Online Magazin des Greater Good Science Center der Universität von Berkeley. happiness.com fühlt sich geehrt, diesen Artikel mit der freundlichen Genehmigung des Greater Good Science Center im happiness Magazin veröffentlichen zu können.

 

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