Die Autorin Veronika Eicher ist in letzter Zeit zweimal in den "Genuss" gekommen, zu üben, wie man eine unangenehme Wahrheit ausspricht. Hier erzählt sie von Strategien, wie man in unangenehmen Situation leichter mit der Wahrheit rausrückt und das Gedankenkarussell reduzieren kann.

 

Wenn unangenehme Wahrheiten das zwischenmenschliche Miteinander blockieren

Für mein Empfinden werden unangenehme Wahrheiten in vielen Kreisen gar nicht ausgesprochen. Lieber wird das eigene Bedürfnis oder der eigene Wunsch unterdrückt, es wird höflich gelächelt und dem Wunsch des Gegenübers entsprochen.
Insgeheim ärgert man sich dann. Man macht etwas, was einem innerlich widerstrebt oder ist wütend auf die Person (die gar nicht versteht, warum).

 

"Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht"  Marc Twain

 

Unter einer unangenehmen Wahrheit verstehe ich eine Tatsache oder ein eigenes Bedürfnis, das nicht dem Wunsch einer anderen beteiligten Person entspricht. Dadurch, dass man dem Wunsch der anderen Person nicht entspricht, wird es zur unangenehmen Wahrheit.

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Auch zwischen Freunden können unausgesprochene Wahrheiten stehen - und unausgesprochen groß wie ein Elefant werden

 

Unangenehme Wahrheiten saugen Energie

Diese unausgesprochenen unangenehmen Wahrheiten kosten viel Kraft. Je nachdem in welchen Kreisen man sich bewegt, ob in dem einen Freundeskreis oder in dem anderen, ob mit der Familie oder den entfernteren Verwandten, gibt es andere Themen, die unangenehme Wahrheiten beinhalten.

Auf wie vielen Unwahrheiten basieren diese zwischenmenschlichen Beziehungen?

Schluckt jeder, so wie ich es auch tue, viele unangenehmen Wahrheiten hinunter, um dem Gegenüber das Bild zu suggerieren, was dessen Wunschbild ist (genauer gesagt, das Wunschbild des Anderen aus der eigenen Annahme heraus!)?

Ich hoffe, dass dem nicht so ist, denn dann würden viele zwischenmenschlichen Beziehungen auf unehrlichen Tatsachen beruhen.

 

Sagen, was man denkt, ohne andere dabei zu verletzen? 

Tatsächlich befürchte ich jedoch, dass dem so ist. Denn ich ecke mit meinen unangenehmen Wahrheiten immer wieder an. In der Schulzeit war das besonders schlimm und ich denke nicht gerne an diese mobbing-reiche Zeit zurück.

Heute schätzen mich viele Freunde durch diese Eigenschaft. Ich spreche aus, was ich denke, auch wenn es unangenehm ist. Für mich und für den anderen.
Dabei bin ich stets bemüht, die Grenze zu wahren, in der ein anderer verletzt werden könnte. Aber da diese Grenze bei jedem woanders liegt, ist es manchmal schwierig.

 

"Wahrheiten, die niemanden verärgern, sind meist nur halbe."   Jupp Müller

 

Braucht es für eine Aussage echte Gründe oder reichen Gefühle?

Der erste Fall in der letzten Zeit war eine Studentin aus einer Studentengruppe, die die letzten zwei Wochen hier bei der Gemeinschaft verbrachten. Über meinen Mann erfuhr sie von meinem Spanisch Sprachkurs und meinte zu ihm, dass sie da gerne mitfahren würde. Ich wurde davon beim Mittagessen von ihm in Kenntnis gesetzt und spürte, schon als er mir davon erzählte, dass mir das nicht recht war.

Es gab eigentlich keinen wirklich Grund dagegen. Der Kurs ist für alle offen, er ist kostenlos und man kann einfach hingehen. Aber für mich fühlte es sich einfach nicht gut an. Es ist “mein” Kurs, ich war selbst erst ein paar Mal dort und fühle mich noch neu dort. Jetzt mit jemanden dort hinzukommen, der nur einmal kommen würde, widerstrebte mir. Die Lehrerin ist immer so bemüht um jeden Schüler und es fühlte sich ein bisschen so an, als würde man ihre Energie ausnutzen, wenn man nur einmal kommen würde.

Ich überlegte also und schrieb der Studentin dann eine Nachricht, dass es mir aus den oben genannten Gründen nicht so recht wäre sie mitzunehmen.

Es war eine unangenehme Wahrheit und ich hatte die Befürchtung, dass sie denkt: Ach herrje, was stellt die sich denn so an, etc.. 

Aber sie schrieb zurück, dass es kein Problem wäre und das war es auch nicht. Wir hatten danach trotzdem ein gutes Verhältnis, ich ging allein zu meinem Kurs und es fühlte sich genau richtig an.

rel="">https://www.happiness.com/de/uploads/monthly_2018_12/2121250621_jeder-ist-seines-glckes-schmied-unangenehme-wahrheiten-befreiung-stolz-erleichterung.jpg.a63ae297053d0532b8180c78e5fd19b1.jpgEine Last fällt ab, zwischen pure Erleichterung mischt sich Stolz: Nach einer Aussprache fühlt man sich 10 kg leichter

Der zweite Fall ist schon etwas schwieriger. Auch hier geht es um den Wunsch einer Person, gegen den grundsätzlich nichts spricht.
Wir haben Besuch und dieser Besuch möchte nicht wie geplant bleiben, sondern noch ein paar Tage länger. Mein Mann hat in seiner Begeisterungsfähigkeit sofort gesagt, kein Problem, der nächste Besuch kommt ja dann erst am darauf folgenden Tag.

Ich saß dann da und konnte nicht einfach sagen: für mich ist es ein Problem, ich möchte, dass ihr dann abfahrt, wie es besprochen war.

In diese Situation spielen so viele Komponenten mit hinein, dass ich sie kurz aufschlüsseln will. Deshalb, weil ich zeigen will, wie furchtbar kompliziert ein zwischenmenschliches Miteinander scheint. Zumindest mir.

 

Listen schreiben: Widersprüchliche Gedanken ordnen sorgt für Klarheit im Kopf

Liste schreiben hilft, die eigenen Gedanken zu ordnen und sich über die eigenen Bedürfnisse klar zu werden. 

In meinem Fall spielten folgende Faktoren eine Rolle: 

  • Mein Mann hatte schon zugesagt
    Jetzt wieder abzusagen, fühlt sich an, als würde ich meinen Wunsch über Seinen stellen (wobei ich mir sicher bin, dass es gar nicht wirklich in sich hinein gefühlt hat, als die Frage kam. Er hat vielmehr einfach so geantwortet, wie man es aus Höflichkeit macht: Klar, kein Problem. Bleibt so lange ihr wollt. Was sein eigener Wunsch ist, hatte er vielleicht gar nicht bedacht.)
  • Besuch vor Besuch
    Bevor dieser Besuch ankam, hatten wir schon eine Woche lang zwei Studentinnen aus der Gruppe bei uns wohnen.
    Auch wenn sie nur hier übernachtet haben, waren sie doch da. Unser zweites Zimmer war belegt, es standen fremde Sachen im Bad herum und wir hatten nur einen Schlüssel, was genau Absprachen erforderte.
  • Besuche sind anstrengend
    Auch wenn es unkomplizierte Gäste sind: Sie sind da, man muss interagieren, man muss kommunizieren, das Kind ist vielleicht mehr aufgedreht, als es sonst ist. Man muss doppelt so viel kochen und doppelt so viel putzen. Und wenn sie helfen, muss man kommunizieren. Es ist einfach anders, als wenn man alleine seinen Ablauf hat.
  • Besuche wollen auch etwas erleben
    Bei uns im Alltag passiert gerade so viel, dass ich kein zusätzliches Programm brauche. Es reicht mir, morgens mit meinem Kind zu basteln, zu backen oder zu kochen und in den Garten zu gehen und nachmittags zu arbeiten. Für Ausflüge habe ich gerade keinen Nerv und auch der Drang etwas zu entdecken, ist nicht gegeben.
  • Besuch nach Besuch:
    Und es liegt auch daran, dass wir in der Woche nach den Feiertagen Besuch bekommen, mit dem wir sicher den ein oder anderen Ausflug machen werden. Denn dann kommt Familie, die extra hier her fliegt, um uns zu besuchen und nicht sowieso schon auf dem Weg ist.
    Ich finde das ist insofern ein Unterschied, als dass die Einen schon seit Wochen ganze viele tolle Orte sehen und gesehen haben und die anderen nur eine Woche Urlaub genommen haben, um uns zu besuchen.

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Widersprüchliche Gedanken, der Versuch, sich in den Kopf des Gegenübers hineinzuversetzen - und oft viel zu viel Aufregung um eine kleine Sache

 

Wie reagiert das Gegenüber auf die unangenehme Wahrheit? Alles "halb so schlimm" oder "Freundschaft kaputt"?

Hält die Freundschaft die Wahrheit aus?

Ist ein Besuch eine Belastung oder eine Entlastung?

Das sind Fragen, mit denen man erkennen kann, welche Freunde einem gut tun.

 

Eine Liste schreiben hilft, die eigenen Gedanken zu ordnen und sich über die eigenen Bedürfnisse klar zu werden.

 

Nach meiner Liste spürte ich ganz klar: Der Besuch nach den Feiertagen ist der Grund, warum ich bei dem eigentlich Plan bleiben möchte. Ich brauchte ein paar Tage Ruhe, um die Besuchs-Akkus wieder aufzuladen. Ein paar Tage nur zu dritt. Ein paar Tage nichts zusätzlich erklären, wie jetzt unser Ablauf ist und warum unser Kind jetzt quengelig ist oder wieso wir nur entkoffeinierten Kaffee trinken oder oder oder. Was halt so geredet wird, wenn man woanders ist. 

Ein weiterer Grund, warum diese unangenehme Wahrheit so unangenehm war: Sie zeigte mal wieder, was für eine Langweilerin ich bin. Im Freundeskreis bin ich schon bekannt dafür, abends früh ins Bett zu gehen, gerne einfach mal meine Ruhe zu haben und keinen Alkohol zu trinken (Da ich gerade stille habe ich wenigstens eine akzeptierte Ausrede dafür).

Kurzum: Ich bin bekannt dafür, langweilig zu sein. Würde ich jetzt sagen, dass es mir zu viel wird und dass ich meine Ruhe brauche, wäre dieses Bild wieder bestätigt. Die anderen würden sich denken: ist ja klar, dass die das nicht will. Das habe ich mir eh schon gedacht. (Das ist wieder eine Annahme meinerseits, was andere denken und hat vielleicht aber gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun.)

Und natürlich denke ich viel darüber nach, was meine Aussage für die andere Person bedeutet: sie muss ihre Pläne ändern, sie muss vielleicht einen Bus buchen, der teurer ist, sie weiß nicht so genau, wo sie dann als nächstes hinfährt. Wenn ich all das, was ich annehme, dass es Einfluss auf die andere Person hat, auch noch mit einbeziehe, führt das zu richtigem Kopfzerbrechen.

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Mit der Aussprache einer unangenehmen Wahrheit können Freundschaften auch gestärkt werden

 

Besuch ist nicht gleich Besuch - darauf achten, was DIR gut tut

Jetzt wirkt das so, als würde ich keinen Besuch haben wollen. Das ist aber nicht richtig. Ich habe gerne Besuch, aber eben für zwei, drei Tage und dann wird es mir zu viel. Und nein, so kann man es auch nicht sagen. Mancher Besuch ist irgendwie gar nicht anstrengend. Dann fluppt das zwischenmenschliche einfach so wunderbar, dass es sich gar nicht wie Besuch anfühlt, sondern als gehöre die andere Person dazu. Das ist aber ganz selten und wenn, ein richtiges Geschenk.

Nicht nur für sich selbst ist die Aussprache von Wahrheiten befreiend: Auch Freundschaften können sich dadurch vertrauter und gestärkt anfühlen.

All diese Gründe fließen mit in diese unangenehme Wahrheit mit ein und machen es so schwierig, sie einfach auszusprechen. Man will dem Wunsch des Gegenübers entsprechen, man will höflich sein, man sagt sich selbst: So schlimm ist es ja nicht. Das halte ich schon aus.

Natürlich hält man das aus, keine Frage. Ich würde es auch aushalten, jetzt durchgehend bis Ende des Monats Leute hier zu haben. Aber darum geht es ja nicht.

Es soll mir ja gut gehen. Und ja, ich stelle mein Glück jetzt vorne an.

Denn wenn das jeder tun würde, würde es uns allen so gut gehen, dass wir auf das Glück vom Nächsten nicht mehr so achten müssen.

Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, heißt es doch.

Und darauf beharre ich jetzt und kümmere mich um meine eigenes Glück und verkünde eine unangenehme Wahrheit. 

 

"Es wird immer gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht."
Hermann Hesse

 

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Geschrieben von Veronika Eicher

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Veronika verkündet unangenehme und angenehme Wahrheiten in der deutschen Ausgabe des Happiness.com Magazins und den sozialen Netzwerken. Ihre Herzensthemen liegen im grünen Bereich und wenn sie nicht selbst damit beschäftigt ist, Bäume zu umarmen und Moose zu streicheln, schreibt sie als freie Texterin über Naturverbundenheit und Nachhaltigkeit.


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